Dienstag, 16. Februar 2016

Optogenetik: Pharmaka mit Lichtschalter

Gentechnik im Rotlichtmilieu

Aus Freiburg kommt ein neues optogenetisches Tool, mit dessen Hilfe Transskriptionsreaktionen in tierischen Körperzellen mit Rotlicht an- und ausgeschaltet werden können. Zentraler Bestandteil ist dabei Phytochrom B, ein Photorezeptor aus dem Pflanzenreich, dessen lichtinduzierte aktive Form in den Kern auch tierischer Zellen eindringen kann.

Wer schweißgebadet mit krampfhaft geöffnetem Mund unter seinem Dentisten liegt, mit einem blau leuchtenden lötkolbenähnlichen Ding auf dem zähflüssigen Kunststoff im frischen Bohrloch, ahnt: Die Kunststoffchemie kennt mehr als Wärme und (sanfter) Druck, wenn die molekulare Anziehungskraft bei sich allzu sehr zierenden Reaktionspartner nicht ausreichen sollte. Licht!

»Nur zwei Minuten, dann sitzt die Füllung bombenfest«, will der Zahnarzt beruhigen. Stattdessen lässt die schlagartig explodierende Panik des Patienten ängstlich seine Blicke einen Ausweg suchend umherschweifen. Ein offensichtlicher Leidensgenosse gerät dabei in seinen Fokus – eine Topfpflanze, die wohl seit geraumer Zeit schon verzweifelt versucht aus dem toten Operationslicht über dem Zahnarztstuhl Leben zu saugen.

Licht bedeutet Leben

»Ohne Rhodopsin in meiner Retina«, dozieren die Gedanken unseres Patienten tapfer gegen seine Panikattacke an, »bliebe mir dies verborgen und selbst das klügste Hirn im Stockdunkeln.

Licht bedeutet eben Leben - und entsprechende Lichtrezeptoren Überleben!«

Genau in dieser Sekunde schaltet ein Piepton den Lichtgriffel in seinem Mund auf "aus", und unser Patient erwacht mutig zu neuem Leben.

Während die Kunststoffchemie schon im letzten Jahrhundert eine durch Licht induzierte Polymerisation entwickelt hat - mit zum Beispiel Benzoylperoxid oder Campherchinon als Photoinitiatoren - hat sich erst Anfang des neuen Jahrhunderts auch die Gentechnik mit der Optik zur sogenannten Optogenetik verbandelt und damit "Einblicke" in die molekularen Tiefen von biologischen Prozessen gewonnen, die bis dahin noch unvorstellbar waren.

Wenn dem Hirn ein Licht aufgeht

Ganz besonders hat Licht dabei der Erforschung der Biochemie des Gehirns Erleuchtung gebracht: Nachdem Forscher Hirnzellen mit dem sogenannten Channelrhodopsin ausgestattet hatten, mussten sie nicht mehr mit plumpen Elektroden handwerkeln, sondern konnten sie elegant mithilfe von Blaulicht Nervenreize auslösen.

Denn dieses Channelrhodopsin ist ein membranständiger Ionenkanal, der im angeregten Zustand selektiv Natriumionen ins Zellinnere einströmen lässt, was zu einer Depolarisierung der Zellmembran führt und zur Ausbildung eines Aktionspotentials, das sich jetzt entlang der miteinander verbundenen Nervenbahnen fortpflanzen kann. An das C-terminale Ende des Channelrhodopsins, das ins Zellinnere reicht, können dabei ohne Funktionsverlust weitere Proteinstrukturen angehängt werden. Sorgt man auf diesem Weg beispielsweise dafür, dass ein fluoreszierendes Protein, etwa ein GFP (grün fluoreszierendes Protein), an den Ionenkanal koppelt, können die vorher durch Blaulicht angeregten Prozesse anschließend im grünen Wellenlängenbereich beobachtet werden - in vivo!

Optogenetik: hohe zeitlich-örtliche Auflösung

Der Vorteil dieser Optogenetik liegt in der hohen zeitlich-örtlichen Auflösung des Verfahrens: In Millisekunden lassen sich in einem auf winzige Bereiche fokusierbaren Laserstrahl die Ionenkanäle "einschalten". Und hat man die Nervenzellen noch zusätzlich mit sogenannten Chloridpumpen aus der Familie der Rhodopsine ausgestattet, lässt sich - diesmal im Gelblicht - mit der selben Geschwindigkeit der Vorgang wieder "ausschalten".

Während diese hier beschriebene Reaktionskaskade zunächst nur im Bereich der Zellmembran und im Cytosol stattfindet, nehmen viele Prozesse in einem Organismus einen deutlich weiteren Weg. So können schon im Intrazellulärraum spezifische Signalstoffe (z.B. Hormone) mit spezifischen Rezeptoren auf und in der Zellmembran korrespondieren, was anschließend seinen Widerhall im Cytosol findet. Durch diese Reaktionskaskade angesprochenen Zielmoleküle finden nun den Weg in die vorgesehenen Zellkompartimente.

Sieht der Signalweg jetzt auch noch die Herstellung eines zu diesem Zeitpunkt nicht vorhandenen Proteins vor, muss es einen Signalträger in der Reaktionskette geben, der Einlass in den Zellkern findet, um dort die Transkription dieses Proteins entsprechend den Vorgaben zu aktivieren.

Phytochrom B aus der Ackerschmalwand

Dieser Erforschung solcher bis in den Zellkern vordringenden Reaktionskaskaden neue optogenetische Werkzeuge zur Verfügung zu stellen, haben sich Mitarbeiter mehrerer Institute der Uni Freiburg zur Aufgabe gemacht. Dabei setzten sie auf eines der fünf verschiedenen Phytochrome der Ackerschmalwand, einer unscheinbaren, weit verbreiteten Pflanze, die in der botanischen Forschung das ist, was Drosophila und Fadenwurm im Bereich der Fauna sind: bestens erforschte Modellorganismen.

Phytochrome gehören zu einer Gruppe von pflanzlichen Photorezeptoren, die als Rotlichtrezeptoren die sogenannte Photomorphogenese steuern, Entwicklungs- und Stoffwechselprozesse, die nur in Gegenwart von Licht sinnvoll sind. So sorgen diese Phytochrome zum Beispiel für das Ergrünen von Keimlingen, die zuvor durch ein schnelles Längenwachstum - Etiolement genannt - bleich und farblos der Sonne entgegengewachsen sind.

Photorezeptor mit Ein- und Ausschalter

Das von den Freiburgern ausgewählte Phytochrome B existiert in zwei Formen: die Hellrot-absorbierende inaktive Form (Pr) und die Dunkelrot-absorbierende aktive Form (Pfr, fr = engl. far red).

Hellrotes Licht der Wellenlänge 660 nm startet also die lichtinduzierte Reaktion, dunkelrotes Licht (740 nm) schaltet sie wieder ab - schlagartig.

Ein offenbar einmaliges Verhalten unter den vielen Photorezeptoren in der Natur. Den andern fehlt nämlich ein "aktiver" Ausschalter. Auch sie stellen zwar in der Abwesenheit von Licht ihre Aktivität wieder ein, aber nur allmählich - mit einem zeitlich nicht vorherbestimmbaren "Nachglühen".

Wohlgemerkt: Phytochrom B ist kein Lichtschalter, der durch einen Mechanismus Licht erzeugen würde, sondern ganz im Gegenteil eher eine Art Fernbedienung, die durch einen Lichtimpuls einen Mechanismus auslöst.

Dabei erzeugt das vom Chromophor des Phytochroms (Phytochromobilin, ein lineares Tetrapyrrol) eingefangene Licht eine Konformationsänderung im Chromophor selbst aber auch in der Aminosäurekette, die jetzt eine Bindungsstelle ausformt, in die ein sogenannter Phytochrom-Interacting Factor (PIF3) passt, eine Struktur, die diesem Komplex damit Zugang durch die Poren der Kernmembran zu dem Ort verschafft, an dem sich die Erbinformationen der Zelle befinden.

Licht ins Dunkel: fluoreszierende Proteine

Diese Fähigkeit der Einwanderung in den Zellkern verliert Phytochrom B auch dann nicht, wenn an seine Aminosäurekette weitere Proteinstrukturen geknüpft sind. Beispielsweise fluoreszierende Proteine.

So half den Freiburger Forschern um Prof. Dr. Matias Zurbriggen, der inzwischen einen Ruf an die Uni Düsseldorf erhalten hat, der rote Farbstoff "mCherry" (ein Fluorophor aus der blauen Pilzkoralle) gekoppelt an das Phytochrom B und der grüne Farbstoff GFP (grün fluoreszierendes Protein aus der Qualle Aequorea victoria) am PIF3, im entsprechenden Laserlicht die Funktionstüchtigkeit ihres Konstrukts unter Beweis zu stellen.

Und tatsächlich: Nach Belichtung mit 660 nm konnten sie im Zellkern sowohl grüne als auch rote punktförmige Strukturen erkennen - in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander.

Hängten die Freiburger Forscher noch eine Struktur mit dem Namen NES (Nuclear Export Sequence) an das PhytochromB/mCherry an, wanderten nach einer 740 nm-Belichtung die roten Punkte wieder zurück ins Plasma, während die grünen Punkte im Zellkern verblieben.

Natürlich würde diese Art von Forschung nicht den Namen Optogenetik verdienen, wenn die Forscher tatsächlich die hier beschriebenen Proteine in die Zellen zu schleusen versucht hätten. Stattdessen verbrachten sie deren Gene in entsprechende Plasmide und transfektionierten damit die Körperzellen.

Vom GOI zum POI

Nach diesen erfolgreichen Tests musste jetzt noch gezeigt werden, ob dieses neue optogenetische Werkzeug auch das tut, wozu es entwickelt wurde. Ob es nämlich sogenannte Transkriptionsfaktoren nicht nur "auf Knopfdruck" zur DNA transportieren kann, sondern auch in der Lage ist, dort die Transskription eines gewünschten Gens zu starten und anschließend die entsprechende Eiweißstruktur zu produzieren.

Dazu wurde das Gen des Phytochroms auf einem Plasmid mit DNA-Abschnitten verbunden, aus denen die Eiweißproduktions-Maschinerie der Zelle schließlich jene Promotoren und Aktivatoren herstellen konnte, die notwendig sind, um das GOI (Genom Of Interest) schließlich auszulesen und am Ende die Produktion des gewünschten POI (Protein Of Interest) zu iniziieren. Dazu mussten die Wissenschaftler tief in die Trickkiste der Gentechnik greifen, wo die Gensequenzen der stärksten Promotoren und Aktivatoren der Natur versteckt sind: die entsprechenden Sequenzen pathogener Viren wie Herpes simplex und CMV (Cytomegalievirus) sowie pathogener weil resistenter Bakterien, die die Promotorsequenzen für ihre Tetracyclin-Resistenz beisteuern mussten.

Im einfachsten Fall war dieses POI im Versuch das bereits beschriebene mCherry. Was dazu führte, dass nach "Belichtung" der Zellen dieses fluoreszierende Protein gebildet wurde. Belichteten die Forscher dabei den Zellrasen in einer Kulturschale durch eine Schablone, entwickelte sich mCherry in der Kulturschale nur in den Zellen, die von diesen Lichtstrahlen durch die Lücken der Schablone erfasst werden konnten.

In einem weiteren Experiment tauschten die Freiburger die DNA von mCherry gegen das Gen einer Alkalischen Phosphatase (AP) aus. Dessen Anwesenheit konnten sie anschließend durch die entsprechende Farbreaktion beim Umsatz des AP-Substrates nachweisen.

Später soll natürlich das GOI Teil der Zell-DNA sein und dort mit dem hier beschriebenen Werkzeug in sein Genprodukt umgewandelt werden - zeitlich und örtlich hoch aufgelöst!

So könnten beispielsweise in der Medizin Inhibitoren von Krebs-Genen mittels dieses Werkzeugs gezielt ein- und ausgeschaltet werden, könnte man wiederum in der Grundlagenforschung Krebs-Gene gezielt ein- und ausschalten, um so die Krebsentstehung besser verstehen zu lernen.

Vorteile überwiegen

Dieses neue Tool aus Freiburg reiht sich in eine bereits recht beachtliche Zahl von ähnlichen optogenetischen Systemen ein, die alle ihre Vorzüge und Nachteile haben. Das Freiburger System kann von sich behaupten, dass es das erste Tool ist, das ein Phytochrom aus einer Pflanze benutzt, um damit in tierischen Zellen und Organismen in vivo zu operieren.

Dass es zudem einen An- und einen Ausschalter hat, dass das verwendete Rotlicht tiefer ins Gewebe eindringen kann als anderes Licht, dass es dabei weniger Schäden anrichtet als etwa blaues Licht.

Und noch ein Vorteil, der zunächst als Nachteil daherkommt: Zum Schalten muss dem Phytochrom B der Chromophor PCB (Phycocyanobilin, ein dem natürlichen Chromophor des Phytochrom B sehr ähnliche Struktur) zur Verfügung gestellt werden (siehe Abbildung). Zum Vorteil wird dies deshalb, weil die Vorbereitung der Experimente nicht unter grünem "Safer-Light" getätigt werden muss. Denn erst nach Zugabe des PCB ist das Experiment "scharfgeschaltet" - und ein "Fehlstart" deshalb ausgeschlossen.

 

Phytochromobilin ist der natürliche Chromophor des Phytochrom B. Hellrotes Licht löst eine Konformationsänderung im Molekül aus (grüner Pfeil), die sich auch in der Aminosäurekette des Proteins auswirkt.

Phycocyanobilin ist ein Chromophor aus Algen. Bei Experimenten in tierischen Körperzellen muss diese Substanz zugesetzt werden, um das Phytochrom B für Rotlicht empfindlich zu machen.

Grafik: Joachim Stubenrauch

 

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