Weniger verfügbare Bodenflächen für die Biosprit-Produktion als gedacht
Ein internationales Forscherteam stellte die frühere Schätzung von zusätzlichen Ackerflächen für den Anbau von Biosprit-Pflanzen auf den Prüfstand. Ergebnis: Um bis zu 80 Prozent mussten frühere Zahlen nach unten korrigiert werden.
Der Feldherrenhügel. Fernerkundung war von Anfang an fest in der Hand der Militärs. Und schnell erhob man sich dann zum Ausspähen des Feindes in die Lüfte - anfänglich noch mit dem Fesselballon. Waren in diesen beschaulichen Zeiten neben Stativ und Palette noch der Maler "persönlich" an Bord, flogen bald darauf in den ersten Flugzeugen schon unbestechlichere Augen mit: Fotoapparate oder Kameras.
Satelliten liefern ständig Daten von der Erdoberfläche
Heute umkreist eine fast schon unüberschaubare Anzahl von Fernerkundungs-Satelliten die Erde und macht, was Fernerkundung nun einmal macht: berührungslose Exploration der Erdoberfläche sowie der Atmosphäre. Dabei wird das Spektrum der elektromagnetischen Strahlung, die die Erdoberfläche ins All abstrahlt, gemessen und später auf den Tischen des Generalstabs vermessen, ausgewertet und in Aktion umgesetzt.
Aber nicht nur dort. Daten der Fernerkundung finden heute Eingang in viele Bereiche der Wissenschaft und längst auch in die Wissenszentralen von Privatunternehmen.
Big Brother is Watching You. Das wird wohl auch mit dieser Ausweitung der Adressaten dieser Fernerkundungsdaten nicht weniger wahr.
Neue Ackerflächen per Fernerkundung
Auch bei der Frage, wie viel Biosprit diese Welt produzieren könnte, hat man auf die Aufnahmen verschiedener Satelliten zugegriffen. Auf die Landsat-Satelliten der NASA, zum Beispiel.
Auch wenn Wissenschaftler anfänglich mit ganz anderen Fragestellungen die Landbedeckung, den Bodenbewuchs, des Planeten begutachten wollten, waren offensichtlich Lobbyisten der Biosprit-Produzenten schnell zur Stelle, um aus den Zahlen Folgendes herauszulesen: 1411 Millionen Hektar zusätzliche Anbaufläche für entsprechende Nutzpflanzen warten quasi nur darauf, zum Wohle der Autofahrer - vorwiegend der Ersten Welt - beackert zu werden.
Politische Vision: Biosprit soll das Klima retten
Das ließ auch die Politik aufhorchen, hatten die sich doch dem hehren Ziel verschrieben, das Klima zu retten - ohne dabei das zarte Pflänzchen "Weltwirtschaft" zu erwürgen. Und Biosprit empfahl sich hier geradezu als Quadratur des Kreises: Klima retten durch Ankurbelung der Produktion. Genial.
Die Euphorie ist allerdings inzwischen einer allgemeinen Katerstimmung gewichen, was zwei Dinge beweist: Zum einen, dass auch Bioalkohol Kopfweh macht, was zum andern aber Alkoholsüchtige nicht davon abhält, immer wieder nach ihm zu greifen.
Biosprit: Konkurrenz zu Nahrungsmitteln-Produktion?
Nur geht das jetzt nicht mehr so ungeniert, weil sich inzwischen immer mehr mahnende Stimmen zu Wort melden.
Denn diese auf den ersten Blick sehr sympathische Technologie mit dem Zeug zur Klima- und damit zur Weltrettung hat die Vorteile, die sie für sich verbuchen kann, offensichtlich nur in beschränktem Maße. Selbst dieser eine, die Klimaneutralität, wird immer häufiger und nicht nur von Gegnern dieser Technologie angezweifelt. Fakt scheint zu sein, dass die intensive landwirtschaftliche Produktion und industrielle Weiterverarbeitung von Biosprit-Pflanzen selbst im Vergleich mit fossilen Brennstoffen zu einer negativeren CO2-Bilanz führt.
Aber auch die Umnutzung von landwirtschaftlichen Flächen zu Ungunsten einer gesicherten Nahrungsmittelversorgung einerseits und die Einbeziehung bislang anders genutzter Flächen andererseits sind Entwicklungen, die jetzt auch das Internationale Institut für Angewandte Systemanalyse (IIASA) mit Sitz in Laxenburg, Österreich, auf den Plan rief und den Sachverhalt von Wissenschaftlern "aus aller Herren Länder" noch einmal auf den Prüfstand stellen ließ.
IIASA bewertet Satellitenaufnahmen neu
Dazu fingen diese noch einmal "ganz von vorne" an: Die Forscher interessierte nämlich, wie verlässlich die den aktuellen Zahlen zugrunde liegenden Satellitenaufnahmen für eine solide Einschätzung der Landverfügbarkeit für Biosprit überhaupt sein können.
Das 2010 von Xiang Cai, einem Forscherkollegen vom Ven Te Chow Hydrosystems Laboratory an der Universität von Illinois, genutzte Material hatte eine Auflösung von etwa einem Quadratkilometer. Jede Aufnahme war von Cai zunächst in eine von zehn Kategorien der Landbedeckung ein- und anschließend vier verschiedenen Szenarios zugeordnet worden. Diese Szenarios unterschieden sich dadurch, dass von Szenario 1 bis Szenario 4 immer mehr Kategorien der Landbedeckung auf die Brauchbarkeit für Biosprit-Anbauflächen abgeklopft wurden.
Die Leute vom IIASA interessierte an Cais Arbeit vor allem, wie hoch der systematische Fehler ist, der dadurch passiert, dass in diesen kleinsten Auflösungen von 1 km x 1 km - nennen wir sie "Pixel" - Feinheiten im Landschaftsprofil untergehen, die aus diesem Grund einfach zu Fehleinordnungen von Bodenflächen führen müssen.
Crowdsourcing spart Forscherschweiß
Auch wenn neben Dr. Steffen Fritz und Franziska Albrecht weitere 22 Autoren die inzwischen veröffentlichte (Kärrner-)Arbeit zeichnen, wäre auch diese vielköpfige Gruppe nicht in der Lage gewesen, die Oberfläche der Erde "Pixel" für "Pixel" zu bereisen und "per Hand" zu vermessen. Es musste also etwas Klügeres her. Und weil "klug" heute "smart" bedeutet, und unser Wissen längst zum Großteil in unsere Smartphones ausgelagert ist, gingen die IIASA-Leute diesen neuen, "medialen" Weg des Wissenserwerbs konsequent noch einen Schritt weiter: Sie lagerten auch den Forscherfleiß aus - und zwar in die Crowd, was früher hierzulande noch "die breite Masse" bedeutete, heute aber eine Gruppe bereitwilliger Menschen ist, mit denen man Crowdsourcing betreiben kann, was man am ehesten mit dem Wort "Schwarmauslagerung" eindeutschen könnte. Was an dieser Stelle nur deshalb so breit erklärt werden soll, weil sich so dieser Vorgang als brauchbares Werkzeug - speziell auch für die Forschung - am besten outet: So wahr der Schwarm klüger ist als der einzelne Fisch, so wahr der einzelne Fisch unwissend und blind für das große Ganze sein darf und trotzdem im Schwarmbewusstsein über sich hinauswächst, so wahr ist, dass selbst blutige Laien - unterwegs in ihrem "Pixel" - mit Informationen zurückkommen, die sich zu einem sehr "wertvollen" Mosaik zusammensetzen lassen.
Der schärfere Blick "in die Fläche" mit Google Earth
Dazu mussten diese "blutigen Laien" nicht einmal im real existierenden Land herumstolpern - mit der Gefahr, sich dabei blutige Nasen zu holen, vielleicht auch noch in Begleitung eines Hundes. Es genügte vielmehr, ihr Pixel vom Schreibtisch aus zu erobern, via Google Earth und in Begleitung einer (süßen) Maus.
18.000 Pixel hatten die IIASA-Leute an ihre Crowd verteilt und jedem Teilnehmer den mit seinem Pixel verbundenen Auftrag erteilt. 299 dieser Pixel hatten sie gleichzeitig auch an mehrere Fachleute vergeben, um später einschätzen zu können, wie die Qualität der Laienarbeit einzuschätzen war.
Anbaufläche unter der Google-Lupe stark geschrumpft
Als das Crowdsourcing schließlich abgeschlossen und die Zahlen ausgewertet waren, stellte sich schnell heraus, dass der Verdacht, den viele Wissenschaftler schon vor Beginn der Arbeit hatte, sich voll bestätigte: Cais Zahlen waren in allen vier Szenarien viel zu optimistisch und mussten um deutlich mehr als die Hälfte herunterkorrigiert werden.
Besonders deutlich schrumpfte der Wert für das erste Szenario, in dem nur minderwertiges, degradiertes oder aufgegebenes Ackerland sowie Land entsprechender Qualität auf dem sich Ackerbau und natürliche Vegetation mosaikartig ablösen, von 320 Millionen Hektar auf 56 Millionen Hektar.
Auch im Szenario 3, in dem neben diesen "marginalen" Ackerböden schließlich auch Weideland, Savanne und Buschland einbezogen wurden, musste Cais Wert von 1411 Millionen Hektar auf 1135 Millionen Hektar heruntergerechnet werden.
Wie kommt das zustande?
Veranschaulichen lässt sich das am besten an Äthiopien. Dort sind 64,5 Prozent der Ackerflächen kleiner als ein Hektar (100 x 100 m), davon etwa 40 Prozent sogar kleiner als 0,5 Hektar. In der groben Auflösung der Satellitenaufnahmen können diese bereits "verbrauchten" Flächen leicht untergehen.
Auch kann Land zu Zwecken herangezogen sein, die in den zehn Kategorien gar nicht auftauchen. So gibt es Ländereien, die medizinischen Zwecken dienen oder der Jagd, in denen Baumaterialien gewonnen werden - und vieles andere mehr.
Schließlich ist dann noch das aus der Menge des verfügbaren Landes herauszurechnen, was unter "Human Impact" zusammengefasst wird und den direkten Lebensraum des Menschen betrifft.
Auf all dies sollten die Teilnehmer der Crowd ihr Augenmerk lenken.
Klimapolitik erzeugt hohen Flächenbedarf
Allein die politischen Ziele der USA und der EU in Sachen Biosprit generieren einen zusätzlichen Bedarf an Anbaufläche von 500 Millionen Hektar bis 2020. Bis 2050 werden es schon 20 Prozent des gesamten kultivierbaren Landes sein.
Auch wenn ganz bewusst nur "marginales", für den Anbau von Kulturpflanzen nicht oder nur wenig geeignetes Land, in die Schätzungen einbezogen wurde, wäre ein Konkurrieren um Ackerboden mit der Nahrungsmittelproduktion dabei immer wahrscheinlicher.
Und wer sollte das verhindern, wenn Politik und Wirtschaft sich (wieder einmal) einig sind. So wie zur Zeit in Afrika. Dort kaufen oder pachten vorwiegend chinesische und indische Unternehmen Ackerland - direkt von den Regierungen afrikanischer Länder, um anschließend die Ernte in ihren Heimatländern zu verkaufen. Das Nachsehen haben dabei die Kleinbauern, die dieses Land bisher beackert haben, die ihre Lebensgrundlage deshalb verlieren, weil die Besitzansprüche an ihrem Land selten genug gerichtsfest sind.
Oder Produzenten, wie aktuell brasilianische Zuckerrohr-Pflanzer, halten sich an die Vorgaben und kultivieren dafür wirklich nur "marginales" Weideland, was allerdings die Rinderzüchter, die dieses Land bislang genutzt haben, so in Bedrängnis bringt, dass diese in ihrer Not Regenwald roden.
Es sind diese beiden Länder, Afrika und Brasilien, in denen mehr als die Hälfte der neuen Anbauflächen liegen.
Sollte die Politik mehr auf die Wissenschaft hören?
In einer Zeit, in der die Vermehrung der Weltbevölkerung munter weitergeht und gleichzeitig das ehrgeizige Ziel immer noch besteht, die Zahl der hungernden Menschen zu halbieren, ist es nur schwer zu vermitteln, dass genau dieses Land, das man bräuchte, um all diese Menschen satt zu kriegen, erst einmal für Biosprit-Pflanzen genutzt werden soll.
Aber darauf wird weder das IIASA Einfluss haben noch irgend ein anderer "Thinktank" dieser Welt.
Vielleicht aber die Crowd. Denn mit den tausenden von Laienforschern kommt vielleicht ein neues, ein „virulentes“ Interesse an Wissen in die Welt, das sich über Twitter oder Facebook ausbreiten könnte.
Die Demokratisierung der Wissenschaft „droht“.
Geo-Wiki, www.geo-wiki.org, ist zum Beispiel ein solches globales Netzwerk von Freiwilligen, die sich zum Ziel gesetzt haben, die Qualität von existierenden Landbedeckungsdaten zu verbessern. Mitmachen erwünscht.
Grafik
Ein Riesenprojekt für die Crowd: Aus den ca 50.000 Validierungspunkten wurden für die Arbeit die 18.000 Punkte bearbeitet, die innerhalb der „Biofuel Availability Region“ liegen. Zu trockene und zu kalte Gebiete wurden nicht berücksichtigt.
Grafik: IIASA


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