Mittwoch, 29. März 2017

Nur wer seine unangenehmen Gefühle nicht davonjagt, kann seine Aufschieberitis davonjagen

Die Welt, wie wir sie kennen, könnte deutlich weiter sein, hätte sie sich längst links und rechts überholen können, wenn ... ja wenn der Global Player schlechthin nicht die Prokrastination für sich entdeckt hätte. Ja, wir Menschen sind Weltmeister im Aufschieben. 15 % leiden chronisch darunter, und unsere Denkelite, die Studenten, geben sich zu meisterlichen 50 % dieser Aufschieberitis hin. Doch gibt es ein Mittel gegen Prokrastination: die ER: Die Fähigkeit zur Emotions-Regulation kann unangenehme Gefühle, die uns zur Prokrastination verleiten, so modifizieren, dass die vor uns liegende Arbeit ohne Verzögerung angepackt wird. Königsweg dabei: seine Emotionen anzunehmen und sie in dieser "Umarmung" nicht etwa zu erwürgen versuchen, sondern eher ruhigzustellen.

Prokrastination ist ein weitverbreitetes und bekanntes Phänomen, das sich auf das freiwillige Hinauszögern von Aktivitäten bezieht, obwohl diese Aufschieben negative Folgen haben kann. Was Aufschieben angeht, unterscheiden sich Menschen ganz erheblich. Chronisch ist dieses problematische Zaudern, bei etwa 15% der Erwachsenen, und in bestimmten Populationen ist es noch höher: Bis zu 50% der Studierenden sind Meister im Aufschieben.


Zahlreiche Studien konnten zeigen, dass dieses Aufschieben mit einer signifikanten Beeinträchtigung der Arbeit und der akademischen Leistung verbunden ist. Studenten, aber auch schon Schüler, engagieren sich oft mehr in Aktivitäten wie Schlafen, Lesen oder Fernsehen als in Lernen. Und dies, obwohl Prokrastination das Wohlbefinden schmälert und negative Gefühle wie Scham oder Schuld hervorruft, genauso wie Symptome schwerer psychischer Probleme. Depressionen, beispielsweise. Noch bedenklicher: Es beeinflusst das Gesundheitsverhalten, was oft dazu führt, dass zu spät die richtige Pflege für gesundheitliche Probleme begonnen wird.

In ersten Versuchen, dieses weit verbreitete und potenziell schädliche Phänomen zu erklären, haben mehrere Autoren vorgeschlagen, dass negative Emotionen eine wichtige Voraussetzung für Prokrastination sind. Der Nachweis für diese Annahme stammt aus Studien, die zeigten, dass Menschen grundsätzlich mehr zum Aufschieben neigen, wenn sie traurig oder verärgert sind und dass die subjektive Annehmlichkeit dieses Verhaltens die Verbindung zwischen Emotionen und Prokrastination moderiert.

Darüber hinaus wurde festgestellt, dass depressive Affekte, Neurotizismus und mangelnde Kontrolle über bedrückende und stressbeladene Situationen mit dem Aufschieben verbunden sind.

So spielt also ganz offensichtlich die Emotions-Regulation eine entscheidende Rolle für das Verständnis des Selbstregulierungsversagens beim Aufschieben. Menschen verschieben oder vermeiden unliebsame Aufgaben, um kurzfristige positive Auswirkungen auf Kosten der langfristigen Ziele zu gewinnen.

Da aversive affektive Zustände gezeigt haben, dass sie durch Falschregulation Prokrastination auslösen, ist zu vermuten, dass umgekehrt die Fähigkeit, mit aversiven affektiven Zuständen adaptiv umzugehen, das Risiko des Aufschiebens verringert.

Die Emotions-Regulations-Fertigkeiten bestehen dabei aus einem ganzen Strauß von Einzelkompetenzen mit ganz bestimmten, deutlich voneinander unterscheidbaren Fähigkeit:

  • (a) sich seiner Gefühle bewusst zu sein
  • (b) Emotionen zu identifizieren und zu etikettieren
  • (c) Emotionen im Zusammenhang mit körperlichen Empfindungen korrekt zu interpretieren
  • (d) die Aufforderungen der Emotionen zu verstehen
  • (e) das eigene Selbst in emotional bedingten Situationen zu unterstützen
  • (f) aktiv negative Emotionen zu verändern, um sich besser zu fühlen
  • g) Emotionen zu akzeptieren
  • (h) um nachgiebig zu sein (um aversive Emotionen zu tolerieren
  • (i) emotional bedrohliche Situationen zu bewältigen, um wichtige Ziele zu erreichen
  • (j) sich selbst zu unterstützen (Selbstunterstützung)
  • (k) um aversive Emotionen zu modifizieren.
Die Punkte g) und f), Emotionen zu tolerieren (Resilienz) und aversive Emotionen zu verändern (Modifikation), spielen dabei eine ganz besonders wichtige Rolle. Beide Fähigkeiten (Resilienz und Modifikation) moderieren dabei wohl die Auswirkungen auf die oben aufgeführten verbleibenden ER-Fähigkeiten.

Da im Hinblick auf das Aufschieben bislang wenig über die Rolle dieser beiden Unterkompetenzen bekannt war, wollten Forscher aus Lüneburg und Erlangen dies jetzt klären.

Nachdem sich in zwei Vorstudien schnell herauskristallisiert hatte dass diese beiden ER-Kompetenzen bei Prokrastination eine entscheidende Rolle spielen, wurde die Hauptstudie unter randomisierten und kontrollierten Bedingungen gemacht.

Beurteilt wurden dabei die Auswirkungen einer Online-Schulung (www.training-geton.de), in der die Teilnehmer speziell diese beiden ER-Strategien erlernen konnten.

Am Anfang der Schulung wurden die Teilnehmer aufgefordert, eine ihrer täglichen Aufgaben auszuwählen, die sie am ehesten aufschoben, und zu identifizieren, ob diese Aufgabe mit unangenehmen Gefühlen oder mit einem Mangel an positivem Einfluss verbunden waren. Die Teilnehmer wurden dann ermutigt, den Mangel an positiven Gefühlsregungen, wie beispielsweise Langeweile, und die unangenehmen Emotionen, wie etwa Angst vor Versagen, zu tolerieren. Die Strategie, aversive Emotionen zu tolerieren, heißt, zur Kenntnis zu nehmen, dass zwar aversive Emotionen vorhanden sind, diesen aber keine Auswirkung auf das Erledigen der zu verrichtenden Arbeit zuzubilligen.

Alternativ sollten die Teilnehmer versuchen, ihre Emotionen zu modifizieren. Um dies zu tun, sollten sie versuchen, positive Gefühle zu verstärken und aversive Emotionen zu reduzieren. Die Strategie, aversive Emotionen zu modifizieren, bestand darin, zuerst eine kurze Entspannungsübung zu praktizieren, dann den möglichen Schaden und die Wahrscheinlichkeit der potentiellen Bedrohung neu zu beurteilen und schließlich zu entscheiden, ob die Aufgabe ausgeführt werden soll oder nicht.

Nach Abschluss der gewählten Aufgabe mussten die Teilnehmer bewertet, wie erfolgreich sie mit aversiven Emotionen oder mit einem Mangel an positivem Einfluss umgegangen sind.

Dieser Vorgang dauerte etwa 10 Minuten und wurde täglich für zwei Wochen lang wiederholt.

Ergebnis: Das Tolerieren und das Modifizieren der Gefühlslage führte zu einer Abnahme von Aufschieberei.

Fazit: Um Aufschieberei zu überwinden, sind emotionsregulierende Strategien hilfreich und sollten deshalb erlernt werden.

Im Hinblick auf die potenziellen wirtschaftlichen Schäden die Prokrastination für Einzelpersonen sowie Unternehmen bedeutet, sind solche Strategie längst überfällig. Unternehmen könnten ihren Mitarbeitern eine solche Schulung anbieten.

Aber solche Kurse wären auch für Studierende relevant. (Und was spräche dagegen, solche Kurse in die Schullehrpläne zu integrieren.)

Hier geht es zur Originalveröffentlichung

Wer an einer kostenlosen ER-Schulung interessiert ist, kann sich hier anmelden

Wer seinen Grad der Prokrastination erfahren will, kann sich hier testen

Wer wissen will, wie hoch seine Emotions-Regulations-Fähigkeiten aktuell sind, kann es hier testen

Emotionsregulation ist das Thema Nr. 1 einer relativ jungen Strömung innerhalb der Verhaltenstherapie: ACT, Akzeptanz- und Commitment-Therapie. Ihr Credo ist es, Emotionen, Ängste, negative Gedanken und Vorstellungen nicht zu bekämpfen, sondern sie zu akzeptieren und zu modifizieren. Sie sollten unser werteorientiertes Handeln nur dann bestimmen dürfen, wenn sie uns dabei hilfreich sein können.

Wer sich hier einlesen und selbsttherapieren will, ist mit diesen Büchern hervorragend bedient:

 

Foto: Gabi Eder / pixelio.de

 

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