Mittwoch, 17. Mai 2017

Ist der Unterricht gut, synchronisieren sich die Gehirne der Schüler

Kennen Sie auch diese magischen Momente, wo in einer Gruppe, ja, selbst auch in einer Schülergruppe im Klassenzimmer, ein Zusammengehörigkeitsgefühl aufwächst, das den Lernstoff plötzlich viel greifbarer macht, das Lernen vorübergehend so viel einfacher und deshalb zur Lust werden lässt? Das machen unsere Gehirne mit uns. Sie synchronisieren sich miteinander und entwickeln wohl so etwas wie ein "Schwarmbewusstsein".

Wir wissen: Das menschliche Gehirn hat sich für das Gruppenleben entwickelt. Dennoch wissen wir so wenig darüber, wie es dynamische Gruppeninteraktionen unterstützt. Weshalb das Studium des sozialen Austausches in der Realwelt spaßhaft die "dunkle Materie der sozialen Neurowissenschaften" genannt wurde.

In jüngster Zeit haben verschiedene Studien immerhin begonnen, sich dieser Frage zu nähern, indem sie die Hirnaktivitäten mehrerer Individuen während einer Vielzahl von (semi-naturalistischen) Aufgaben verglichen haben. Diese Experimente zeigten, wie Eigenschaften der angewendeten Stimuli, die individuellen Unterschiede der Probanden und die unterschiedlichen Umgebungsbedingungen die Ähnlichkeiten und die Unterschiede in der neuronalen Aktivität zwischen Menschen untermauern können.

Allerdings leiden die meisten Studien bis heute unter verschiedenen Einschränkungen: Es fehlen oft Aug-in-Auge-Interaktionen zwischen den Teilnehmern, sie sind in der Regel auf die Interaktion zweier Probanden beschränkt, sie untersuchen nicht die soziale Dynamik über die Zeit, und ganz entscheidend: Sie untersuchen nur selten das soziale Verhalten unter Realwelt-Bedingungen.

In einer aktuellen Studie verlängerten deshalb jetzt Forscher aus Deutschland, den Niederlanden und den USA diese Experimente drastisch, über "Paarbeziehungen" hinaus, und verließen dazu sogar die sterilen Untersuchungslabors, um neuronale Marker des Gruppenengagements nun bei dynamischen Realwelt-Gruppeninteraktionen zu identifizieren.

Die Forscher verwendeten dazu ein tragbares Elektroenzephalogramm (EEG) zur gleichzeitigen Aufzeichnung von Hirnaktivitäten einer Klasse von 12 Gymnasiasten im Laufe eines Schuljahres während regulärer Unterrichtsaktivitäten. Eine neuartige Analyse-Technik zur Beurteilung der gruppenbasierten neuronalen Kohärenz zeigte, dass das Ausmaß, in dem die Gehirnaktivität der Schüler sich synchronisierten, die Forscher in die Lage versetzte, sowohl das Engagement der Schulklasse als auch die soziale Dynamik vorauszusagen.

Dies deutet darauf hin, dass eine Gehirn-zu-Gehirn-Synchronität ein möglicher neuronaler Marker für dynamische soziale Interaktionen ist, die wahrscheinlich von gemeinsamen Aufmerksamkeitsmechanismen getrieben wird. Denn, so die Hypothese, wenn die Schüler sich in ihrem Engagement verbunden fühlen mit dem Lernstoff und mit ihren Mitschülern, sind ihre Gehirne "in sync".

Diese aktuelle Studie bestätigt damit eine vielversprechende neue Methode, um die Neurowissenschaften von Gruppeninteraktionen in ökologisch-natürlichen Situationen zu untersuchen.

Das Klassenzimmer erwies sich dabei als idealer Ausgangspunkt für eine unverfälschte Realwelt-Neurowissenschaft: Es bietet einen ökologisch-naturwissenschaftlichen Kontext, aber auch ein halbkontrolliertes Umfeld, das von einer Sequenz von Aktivitäten bestimmt wird, die wiederum von einem Lehrer bestimmt werden.

Dies ermöglichte es den Forschern, die Gehirnaktivität und das Verhalten systematisch im Laufe eines Schuljahres zu messen, in dem die Schüler in einer Reihe von vorgegebenen Klassenaktivitäten tätig waren: In insgesamt 11 Unterrichtsstunden, verfolgten sie die Vorträge des Lehrers, beobachteten Lehrvideos und nahmen an Gruppendiskussionen teil.

Hier geht es zur Originalveröffentlichung

 

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