Mittwoch, 6. Dezember 2017

Vom menschlichen Drang wirtschaftliche Ungleichheiten überwinden zu müssen

Mitmenschen zu schädigen ist offensichtlich menschlich. Immerhin zwanzig Prozent von uns handeln so, egal, ob es einen Reicheren oder Ärmeren trifft. Der Anteil erhöht sich nur wenig, wenn die Einkommensunterschiede sich immer weiter aufspreizen, der dafür nötige Arbeitsaufwand und die damit einhergehenden Bonuszahlungen aber nachvollziehbar bleiben. Erst wenn nur noch Betrug, Korruption und Kriminalität die hohen Einkommen der Reichen und Superreichen erklären können, entsteht der Wunsch und Zwang, dagegen "kollektiver" vorzugehen. Etwa die Hälfte der Bevölkerung ist es dann, die so reagiert.

Zunehmende Ungleichheit ist häufig mit sozialen Unruhen und Konflikten zwischen sozialen Klassen verbunden. Eine aktuelle Veröffentlichung aus Heidelberg präsentierte jetzt die Ergebnisse eines Laborexperiments, das herausfinden wollte, ob eine größere Einkommens-Ungleichheit dazu führt, dass die Probanden die Einkommen der Mitstreiter im Test durch Verbrennen von Geldscheinen zu reduzieren versuchen.

Im Experiment wurden reale Aufgaben je nach Aufwand zunächst fair entlohnt. Dabei mussten die Probanden Wörter mithilfe eines Buchstaben-Zahlen-Codes herausfinden und erhielten pro gefundenem Wort einen Stücklohn. Eine anschließende Verschleierung der Transparenz und Fairness dieser Bezahlung in Abschnitt zwei und drei des Experiments sollten dann zeigen, wie sich die Absicht eines Probanden, das erworbene Geld der anderen Teilnehmer teilweise zu verbrennen, veränderte.

Dazu wurde im zweiten Abschnitt dem fleißigsten Teilnehmer ein zusätzlicher Bonus bezahlt. In einem dritten Testabschnitt wurde dieses bislang noch transparente Vorgehen durch eine Lotterie verschleiert, mit der jeder Proband mit einer 75%-Chance sein Einkommen soweit erhöhen konnte, dass er damit den Bonus "ergaunern" konnte. Intransparent wurde der Vorgang dadurch, dass der einzelne Proband weder wissen konnte, ob die Lotterie überhaupt fair ablaufen würde noch wer seiner Mitstreiter diese betrügerische Lotterie (ebenfalls) in Anspruch nehmen würde.

Die Ergebnisse zeigen, dass eine größere Ungleichheit in den Löhnen nicht zwangsläufig dazu führt, dass mehr Geld verbrannt wird. Es hängt vielmehr davon ab, ob der Anstieg der Ungleichheit eindeutig auf die Anstrengung der entsprechenden Person zurückzuführen ist, das heißt, ob Fairness bei der Festlegung der Einkommen obwaltet oder nicht. Nur wenn die größere Ungleichheit zwischen den Einnahmen der Mitstreiter das Ergebnis von vermutlich moralisch fragwürdigen Aktivitäten sein könnte, griffen die Probanden öfter zu den Streichhölzern und fackelten mehr vom Geld der Mitstreiter ab. Nur, die Anzahl derer, die zündeln nimmt dabei weniger deutlich zu als die Höhe der verbrannten Beträge. Während die meisten so durchgeführten Einkommensschmälerungen darauf abzielten, die Ungleichheit zu verringern, spielte die berechtigte oder unberechtigte Ungleichheit der Löhne also offensichtlich nur eine Rolle bei der Quantität der Geldverbrennung, weniger bei der Qualität.

Die Welt wird immer ungerechter und deshalb unruhiger

Die wirtschaftliche Ungleichheit hat in den letzten Jahren erheblich zugenommen, was wiederum diese Ungleichheit in den Fokus der öffentlichen und wirtschaftlichen Debatten gerückt hat. Ein großes Problem ist, dass zu viel Ungleichheit soziale Unruhen und Konflikte zwischen sozialen Klassen auslösen kann. Während Ungleichheit in gewissem Maße unvermeidlich ist, gibt nicht nur der Grad der Ungleichheit Anlass zu Bedenken. Viele Menschen bestreiten die Fairness (die Berechtigung) der aktuellen Einkommens- und Vermögensverteilung und drücken den Wunsch für eine gerechtere Gesellschaft aus. In der Tat beeinflussen die Ansichten von Einzelpersonen über die Gerechtigkeit des Zustandekommens dieser Ungleichheit, wie sie auf diese Ungleichheit reagieren.

Forscher aus Heidelberg untersuchten deshalb jetzt die Auswirkungen größerer Ungleichheit auf die Tendenz, sich anderen gegenüber schädlich und antisozial zu verhalten und wie dieses Verhalten mit der Fairness (der objektiven Berechtigung) von Ungleichheit zusammenhängt.

Schädliches (oder antisoziales) Verhalten ist ein häufig beobachtetes Phänomen: Menschen werden Opfer willkürlicher Gewalt, oder manchmal finden Menschen einfach Freude daran, das Eigentum anderer zu zerstören oder zu beschädigen.

Oligarche – reich mit Korruption und Kriminalität

Es gibt viele Berichte, hauptsächlich aus ehemaligen sozialistischen Ländern, die Eigentumsdelikte, Feindseligkeit und Angriffe auf erfolgreichere Menschen dokumentieren. Ein solches Verhalten wird häufig der Bemühung zugeschrieben, die Gleichheit unter Gleichaltrigen wiederherzustellen und scheint eng mit der Wahrnehmung verbunden zu sein, dass individueller Erfolg oft auf illegalen Aktivitäten und Machenschaften beruht.

Obwohl es viele mögliche Motive für antisoziales Verhalten gibt, erscheint es reizvoll, eine Beziehung zwischen zunehmender wirtschaftlicher Ungleichheit und dem Verhalten, das anderen schadet, ohne dass der Übertreter davon offensichtlich materielle Vorteile hätte, herauszufinden. Kausale empirische Befunde darüber sind bisher selten, da es schwierig ist, die verschiedenen Motive für antisoziales Verhalten zu unterscheiden und Änderungen im Grad und in der Zusammensetzung der Ungleichheit zu untersuchen.

Um die Beziehung von größerer Ungleichheit und antisozialem Verhalten zu untersuchen, ersannen die Heidelberger Forscher deshalb ihr Laborexperiment. Dieses sollte es möglich machen, die Analyse auf jenes unsoziale Verhalten zu konzentrieren, das darauf abzielt, wirtschaftliche Ungleichheiten zu reduzieren und so zu untersuchen, wie ein solches Verhalten von den Umständen, die zu dieser Ungleichheit führen, abhängt. Speziell ging es dabei um die von den Probanden empfundene Berechtigung und Transparenz der diese Einkommen produzierenden Prozesse.

Erst arbeiten, dann andere schädigen

Das Experiment bestand aus einer Produktionsphase und einer "Geldverbrennungs"-Phase. In der Produktionsphase wurden die Teilnehmer in Vierergruppen eingeteilt, die jeweils die oben erwähnte Aufwandsaufgabe erfüllen mussten, für die sie einen Stücklohn erhielten – und in einigen anderen Experimenten zusätzlich einen Bonus.

In der Geldverbrennungs-Phase erhielten die Teilnehmer dann Informationen über die Leistung und Einnahmen aller anderen Gruppenmitglieder. Sie konnten jetzt einen Teil des Einkommens eines anderen Gruppenmitglieds verbrennen (minimieren, nicht aber komplett löschen). Ein persönlicher materieller Gewinn entstand dabei für den Verbrenner nicht. Die Entscheidung, Geld zu verbrennen, fand gleichzeitig und spontan statt. Rache für diese Einkommensreduzierungen war dabei nicht möglich, da nur die Entscheidung eines zufällig ausgewählten Gruppenmitglieds vom Spielleiter tatsächlich umgesetzt wurde.

Die Ergebnisse zeigen, dass das Ausmaß des antisozialen Verhaltens entscheidend davon abhängt, wie transparent und nachvollziehbar der Anstieg der Ungleichheit ist. Ergänzend zu früheren Ergebnissen fanden die Heidelberger Forscher, dass antisoziales Verhalten auch in einer Situation vorherrscht, in der sich die Probanden ihr Einkommen durch ihren Einsatz redlich verdient haben und die Ungleichheit zwischen den Einkommen der Probanden gering ist. Etwa 20 Prozent der Teilnehmer reduzierten das Einkommen von mindestens einem anderen Gruppenmitglied schon in dieser Phase des Experimentes, in der keine zusätzlichen Leistungsboni vergeben wurden.

Bonuszahlungen erhöhten natürlich die Ungleichheit innerhalb der Gruppen und führten auch zu mehr antisozialem Verhalten. Solange sich jedoch die zunehmende Ungleichheit eindeutig aus der ausgeübten Anstrengung ergibt, die mit einem zusätzlichen Bonus honoriert worden ist, unterscheidet sich die Höhe des antisozialen Verhaltens statistisch nicht und entspricht in etwa einer Situation ohne Bonus und geringer Ungleichheit. (Die Zahl der Verbrenner bleibt also etwa gleich, diese verbrennen aber mehr Geld ihrer Mitstreiter.)

Dies deutet darauf hin, dass größere Ungleichheit allein nicht zu mehr antisozialem Verhalten führt. Es hängt vielmehr davon ab, ob der Anstieg der Ungleichheit eindeutig den Anstrengungen zugeschrieben werden kann, – ob also der Anstieg dieser Ungleichheit gerechtfertigt ist.

Wenn es möglich ist, die eigene Leistung durch Boni oder/und Betrug zu steigern, wie das in einem zusätzlichen Experiment möglich war, tun dies 67 Prozent der Teilnehmer und glauben gleichzeitig, dass im Durchschnitt 71 Prozent der anderen ihre Leistung durch Betrug verbessern werden.

Fast jeder zweite Proband (42 Prozent) zeigte in dieser Phase des Experiments daher antisoziales Verhalten. Obwohl die berechtigte Ungleichheit der Löhne für das Ausmaß des antisozialen Verhaltens eine Rolle spielt, ist sie für das Verbrennen von Teilen des Einkommens offensichtlich weniger relevant, da die meisten Einkommensreduzierungen eher darauf abzielten, die Ungleichheit in den beiden Experimenten mit Bonuszahlungen zu reduzieren. Das heißt, Leistungsträger, also diejenigen, die eine Bonuszahlung erhalten haben, sind häufiger das Ziel und sehen sich härteren Einkommenseinbußen ausgesetzt als andere Probanden. Das galt für das Experiment mit Bonuszahlung sowie für das Experiment mit Bonuszahlung und Betrugsmöglichkeiten (betrügerische Einkommenserhöhungen).

Die Ergebnisse zeigen, dass Ungleichheit tatsächlich antisoziales Verhalten verstärken kann. Die Ergebnisse dieser Studie widerlegen somit eindeutig frühere Studien, die diesen Zusammenhang zwischen größerer Ungleichheit und antisozialem Verhalten nicht fanden.

Es gibt zahlreiche anthropologische und soziologische Berichte über erfolgreiche Menschen in ehemals sozialistischen Ländern oder China, die Opfer von Feindseligkeit und Angriffen ihrer weniger erfolgreichen Kollegen wurden. Einige Beobachter des Übergangsprozesses in diesen Ländern stellen fest, dass diese erfolgreichen Menschen häufig in irgendeiner Form illegaler Aktivitäten verstrickt sind, und dies könnte ihren Verdacht verstärkt haben, dass individueller Erfolg oder eine Zunahme von Ungleichheit eng mit diesen illegalen und kriminellen Aktivitäten verbunden ist.

Es gibt also wesentlich mehr antisoziales Verhalten, wenn der einkommensschaffende Prozess so ungerecht ist, dass er Menschen die Möglichkeit gibt, ihre vermeintlichen Leistung künstlich aufzublähen. Zudem zeigen die Daten aus Heidelberg, dass die Menge des im Experiment mit Bonus und Betrugsmöglichkeiten verbrannten Geldes positiv mit dem Einkommen anderer Gruppenmitglieder korreliert. Dies deutet darauf hin, dass ein wichtiges Motiv für diese Art von destruktivem Verhalten tatsächlich die Verringerung der Ungleichheit ist, die als Konsequenz die wirtschaftliche Entwicklung behindern kann.

Die Ergebnisse aus Heidelberg könnten Auswirkungen auf die unternehmerischen Handlungsweisen haben. Unternehmen haben häufig ein turnierähnliches Vergütungssysteme installiert, bei denen Gewinne und Beförderungen von relativen Leistungsvergleichen abhängen. Solche Systeme sind jedoch anfällig für unethisches Verhalten, wie Sabotage oder leistungssteigernde Substanzen und Aktivitäten. Noch wichtiger ist, dass die Ergebnisse aus Heidelberg darauf hindeuten, dass zu große Belohnungen die Zusammenarbeit und die Interaktionen zwischen Kollegen stark beeinträchtigen können. Dies könnte erklären, warum Unternehmen manchmal kleinere Gewinnspannen bevorzugen oder auf eine erhebliche Lohnkompression setzen.

Hier geht es zur Originalveröffentlichung

 

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