Freitag, 13. Juli 2018

... vom Mütterchen die Frohnatur! – und ihre Darmflora

Unsere Darmflora erhalten wir vorwiegend von unserer Mutter. Eine aktuelle Studie, die das Mikrobiom von Mutter und Säugling in den ersten vier Monaten nach der Geburt mit computergestützter Genomsequenzierung erstmals auf Bakterienstamm-Niveau untersuchte, legt dies zumindest nahe. Dabei zeigte sich, dass die anfänglich im Darm des Kindes neben Darmbakterien zu findenden Bakterien aus der Vagina und von der Haut der Mutter in den ersten Lebensmonaten schon von diesen Darmbakterien wieder verdrängt werden. Auch die Annahme, dass bereits im Uterus das Kind von Mikroben der Mutter besiedelt wird, untermauert diese Studie.

Der Erwerb und die Entwicklung des Mikrobioms eines Säuglings ist entscheidend, um eine gesunde Symbiose mit der Gesamtheit der Körperzellen zu etablieren. Es ist Stand der Forschung, dass das mikrobielle Reservoir der Mutter in diesem Prozess eine entscheidende Rolle spielt. Die Quelle und die Übertragungswege der Mikroben, die schließlich das Kind besiedeln, waren bislang jedoch kaum verstanden.

Um dieses Problem anzugehen, hat ein internationales Forscherteam mit Beteiligung aus Deutschland das Mikrobiom von 25 Mutter-Kind-Paaren mehrere Körperstellen von der Geburt bis zu 4 Monaten nach der Geburt beprobt. Das metagenomische Profiling auf der Subspezies-Ebene der verschiedenen Bakterien-Stämme zeigte direkt nach der Geburt eine schnell erfolgte Besiedlung mit Mikroben, gefolgt von einer deutlichen Selektion während der ersten Lebenstage. Mütterliche Haut- und Vaginal-Bakterienstämme besiedeln demnach nur anfänglich das Kind, das in dieser Phase weiterhin Mikroben aus verschiedenen mütterlichen Quellen erhält. Mütterliche Darm-Bakterienstämme erweisen sich im Säuglingsdarm dann als beständiger und ökologisch besser angepasst als solche aus anderen Quellen, weshalb sich diese langsam gegen Bakterien anderer Quellen durchsetzen.

Einführung

Die komplexe mikrobielle Gemeinschaft, die den Menschen bewohnt, das sogenannte Mikrobiom, ist ein bestimmender Faktor für die menschliche Gesundheit. In einem zweifellos komplexen Wechselspiel zwischen Wirtsgenetik und Umweltbedingungen unterstützen diese Mikroben viele Funktionen im menschlichen Körper, einschließlich der

  • Erleichterung der Absorption jener Nährstoffe, die sonst für den Wirt unzugänglich wären
  • Training und Modulation des Immunsystems
  • Schutz vor pathogenen Organismen.
Ein Ungleichgewicht dieser harmonischen Beziehung ist Berichten zufolge mit vielen Krankheiten bei Erwachsenen verbunden, einschließlich entzündlichen Darmerkrankungen, Typ-2-Diabetes und kolorektalen Karzinomen.

Solch ein Ungleichgewicht ist auch bei Säuglingen mit dem gehäuften Auftreten von entzündlichen Darmerkrankungen, Morbus Crohn, Typ-1-Diabetes, nekrotisierender Enterokolitis und Asthma verbunden. Während die Bedeutung des Zusammenspiels von Wirt und seinem Mikrobiom nicht in Frage steht, bleiben die Mechanismen, durch die ein Säugling diese Mikroben erwirbt, und aus welchen Quellen, weitgehend unerforscht.

Die seit langem bestehende Überzeugung, dass ein Kind bei der Geburt steril ist, wurde inzwischen durch eine zunehmende Anzahl von Berichten, die Hinweise auf das Auftreten von intra-uterinen Beimpfungen lieferten, in Frage gestellt, aber die Rolle und Bedeutung der pränatalen mikrobiellen Kolonisierung sind noch offen für Diskussionen. Was deutlicher ist, ist, dass eine weitgehende mikrobielle Besiedlung postpartal, also kurz nach der Geburt, beginnt.

Mehrere entscheidende Faktoren sind für die frühe Entwicklung des Säuglingsmikrobioms verantwortlich, einschließlich der Art der Geburt und des Gestationsalters bei der Geburt, sowie andere Einflussfaktoren wie die Verwendung von Antibiotika bei Müttern und Säuglingen und die Säuglingsernährung („Fläschchen“ oder Stillen). Stärkere Umweltbelastungen und frühe intime Beziehungen, insbesondere mit der Mutter, spielen auch eine entscheidende Rolle bei der frühen mikrobiellen Besiedelung des Säuglings.

Vieles von dem, was über den Erwerb des Säuglingsmikrobioms bisher bekannt ist, wurde mithilfe von Bakterien-Kulturen und die anschließende taxonomische Bestimmung erhalten, die allerdings auf die Unterscheidung auf der Ebene der Bakterien-Spezies beschränkt war. Da Individuen aber häufig gemeinsame Spezies teilen, reicht eine Untersuchung mit dieser niedrigen taxonomischen Auflösung nicht aus, da eine Spezies mehrere Subspezies-Bakterienstamm-Varianten umfassen kann, die für verschiedene Individuen spezifisch sein können. Daher ist es wichtig, solche Bakterien-Profile auf der Bakterienstamm-Ebene durchzuführen, um die Übertragung von externen Bakterien-Quellen auf das Kind zu identifizieren und zu quantifizieren. Dies wurde bereits für eine begrenzte Anzahl kultivierbarer Arten gezeigt, und die Forschung hat zuvor bewiesen, dass das mikrobielle Reservoir der Mutter eine wichtige Quelle für den frühen Erwerb mikrobieller Arten und Stämme im kindlichen Darm ist. Es gibt jedoch keine umfassende Bewertung der zahlreichen potenziellen mütterlichen Quellen der mikrobiellen Übertragung, und wie sie letztendlich zum Erwerb des Säuglingsmikrobioms innerhalb von Stunden nach der Geburt und in den ersten Lebensmonaten beitragen.

Zu diesem Zweck haben die Forscher in ihrer aktuellen Studie untersucht, ob die wichtigste intime Beziehung in der Entwicklung des frühkindlichen Mikrobioms wirklich die Mutter. Fünf mögliche mütterliche Quellen mikrobieller Übertragung (Haut, Muttermilch, Darm, Vagina und Mundhöhle) wurden an 25 Mutter-Kind-Paaren gewonnen und die Säuglinge in der Stichprobe von der Geburt bis zum 4. Lebensmonat untersucht. Mittels hochauflösender Schrotflinten-Metagenomik, einem etablierten gen-analytischen Verfahren, mit verbesserter Bakterienstamm-Level-Begutachtung von bekannten aber auch schlecht charakterisierten Mikrobiom-Mitgliedern verfolgten die Forscher die Übertragung der Bakterien vom Mutter-Mikrobiom zum Säuglings-Mikrobiom.

Ergebnisse

Von den 25 gesunden schwangeren Frauen, die auf natürlichem Weg gesunde Neugeborene gebaren, wurden Proben des Stuhls als Proxy des unteren Darms und von vier zusätzlichen Körperstellen: die Mundhöhle (Zungenrückenabstriche), die Haut (Intermammärspaltenabstriche), die Vagina (vaginale Introitusabstriche) und die Muttermilch genommen. Jedes Neugeborene wurde an zwei Stellen, dem Darm und der Mundhöhle, von der Geburt bis zum 4. Monaten nach der Geburt beprobt.

Alle Säuglinge wurden die ersten 3 Tagen ausschließlich gestillt, 96% davon 1 Monat und 56% bis zum 4. Monat. Von den 44% der nicht ausschließlich gestillten Kinder wurden 16% ausschließlich mit Säuglingsnahrung gefüttert.

Zu den wichtigsten Ergebnissen gehört die sehr hohe mikrobielle Diversität und Heterogenität der Stämme im Säuglingsdarm-Mikrobiom bereits am ersten Lebenstag, die innerhalb der ersten Woche dramatisch abnimmt, bevor sie sich erholt und in den nächsten 4 Monaten allmählich wieder zunimmt. Während die Forscher die Möglichkeit einer intra-uterinen mikrobiellen Akquisition nicht ausschließen konnten, deutete dies auf eine frühe Aussaat mit einer Gesamtartenvielfalt und Heterogenität der Besiedlung hin, die viel höher ist als bisher angenommen, gefolgt von starken Selektionskräften, der ein erheblicher Teil dieser frühen Biodiversität zum Opfer fällt. Der Auswahlprozess wird durch die abnehmende Heterogenität der Besiedlung im sich entwickelnden Säuglingsmikrobiom und die anfängliche Zunahme von fakultativen Anaerobiern bestätigt, die anschließend durch strikte Anaerobier konsistent mit den biochemischen Veränderungen der Darmumgebung des Säuglings ersetzt werden. Weit davon entfernt, ein statischer Prozess zu sein, ist die mikrobielle Aussaat aus mütterlichen Quellen kontinuierlich, wobei einige Arten und Stämme zu späteren Zeitpunkten im Säugling erscheinen. Die Forscher beschreiben somit, wie der Prozess der mikrobiellen Kolonisierung im Säugling ein Gleichgewicht zwischen dem Zustrom mikrobieller Stämme und einem Nischenauswahlprozess widerspiegelt.

Dieses Gleichgewicht ist wahrscheinlich der Schlüssel für die physiologische Entwicklung des Säuglingsmikrobioms und sollte weiter untersucht werden, um mögliche Verbindungen mit Pathologien in der Kindheit zu entschlüsseln.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis dieser Studie ist, dass Mikrobenstämme identifiziert werden konnten, die bei Säuglingen vorhanden sind, für die starke Hinweise auf eine Übertragung von ihren Müttern vorliegen, und dass diese Stämme sich eher im Säuglingsdarm anpassen und darin überleben als nicht von der Mutter erworbene Stämme.

Dies verstärkt die Bedeutung dieser vertikalen mikrobiellen Übertragung von der Mutter auf den Säugling aus mehreren Quellen, denn obwohl die mütterlichen Mikrobiome viele im Säugling vorhandene Mikrobenstämme nicht erklären können, scheinen die übertragenen Stämme im sich entwickelnden Mikrobiom entscheidend zu sein.

Die Mechanismen dieses Phänomens sollten weiter untersucht werden. Diese könnten mit einer Kombination aus einer vorgeburtlichen Übertragung, einwirkenden Umweltfaktoren und gemeinsamen genetischen Faktoren zusammenhängen, die teilweise die Mutter-Kind-Bakterienstamm-Spezifität erklären könnten.

Wenn man jedoch die vertikale mikrobielle Übertragung als einen physiologischen Prozess unter evolutionärem Druck in der jüngsten menschlichen Geschichte betrachtet, kann die Untersuchung von vertikal übertragenen Stämmen die Basis für ein besseres Verständnis des Einflusses von nicht vaginaler Geburt und nicht ausschließlichem Stillen liefern.

Die methodischen Ansätze in dieser Arbeit sind eine neuartige Kombination von referenzbasiertem und computergestütztem Profiling, die es ermöglicht, die Vorgänge bei der Besiedlung des Säuglings umfassend zu beschreiben. Die Anwendung von computergestützten Profilierungswerkzeugen mit einer Auflösung auf der Ebene einzelner Stämme ist dabei der Schlüssel, da keine direkten Hinweise auf eine mikrobielle Übertragung gefunden werden können, wenn Bakterien ausschließlich auf Artenebene kategorisiert werden. In dieser Arbeit nutzen und modellieren die Forscher die sehr hohe Inter-Subjekt-Variabilität von Stämmen in der Allgemeinbevölkerung und schlagen eine Übertragung nur für die Fälle vor, in denen eine Mutter und ihr Kind eine wesentlich höhere Bakterienstamm-Ähnlichkeit als die zwischen nicht verwandten Subjekten aufweisen.

Insgesamt fanden sie 62 Fälle mit starken Anzeichen für eine Übertragung von Bakterienstämmen, von denen acht aus Arten stammen, die derzeit nicht charakterisiert sind. Sie fanden auch Hinweise auf Stämme, die aus mehreren mütterlichen Quellen stammen, wobei die Vaginal-, Haut-, Mund- und Darm-Gemeinschaften alle zum frühkindlichen Mikrobiom beitragen. Aber auch nach einigen Tagen nach der Geburt nimmt der Beitrag des Vaginal- und Hautmikrobioms bereits ab.

Die Forscher konzentrierten sich in ihrer Studie zwar auf die Mutter, als den vielleicht wichtigsten bekannten Faktor in der Entwicklung des Säuglingsmikrobioms, jedoch können dieselben Techniken angewendet werden, um andere Übertragungswege zu beschreiben: andere Familienmitglieder die Bakterien im Krankenhauszimmer, das Mikrobiom der behandelnden Ärzte, Schwestern und Hebammen.

Diese Gruppen von mikrobiellen Quellen wurden hier nicht untersucht. Ihre Integration in die Mikrobiom-Analyse wird weiter dazu beitragen, die Mechanismen der frühen Mikrobiom-Akquisition und späteren Entwicklung zu verstehen.

Hier und hier geht es zur Originalveröffentlichung

 

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