Machen Unkaputtbare die Umwelt kaputt?
Seit 2009 verlängern perfluorierte Kohlenstoffverbindungen, wie die Perfluoroctansulfonate (PFOS), die Liste des „Dirty Dozen“, jene zwölf besonders kritischen „langlebigen organischen Umweltschadstoffe“, deren Produktion nach der Stockholmer Konvention weltweit verboten oder zumindest eingeschränkt ist. Forscher der Empa, einer Forschungsinstitution der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH), haben jetzt die Konzentration dieser Fluorchemikalien in Flüssen und Alpenseen der Schweiz gemessen.
In derselben Sekunde, als der erfahrene Hecht zubiss, wusste er, dass er sterben würde. Denn seine Feinde hatten nachgerüstet und seine Vorsicht mit einer unsichtbaren Angelschnur genarrt: Perfluorcarbone (PFC) machen aus Angelschnüren Hochleistungs-Anglersilk, dessen Brechkraft der des Wassers entspricht, weshalb der Hecht keine Chance hatte.
Fluor und seine Verbindungen: eine unsichtbare Gefahr.
Das farblose Fluor-Gas tötet, Fluorwasserstoff brennt sich durch Haut und Muskeln bis auf die Knochen, nur als Fluorkomplex lässt sich Uran zu waffentauglichem Material aneichen und die ebenso unsichtbaren Fluorkohlenwasserstoffe (FKW) stören unser Klima und zerstören das Ozon. Zwar nicht mehr ganz so nachhaltig wie die FCKW (Fluorchlorkohlenwasserstoffe), die sie inzwischen ersetzt haben, aber fast genauso ungebremst, denn sie sind so künstlich, dass alles Natürliche ihnen nur wenig anhaben kann.
Menschengemachte Unsterblichkeit ist das - mit einer sprichwörtlich gewordenen Teflonoberfläche, (ein Stoff, aus dem deutsche Kanzlerinnen sind, sagt man).
Perfluorcarbone im Wasser und in der Luft
Doch damit nicht genug, denn ähnlich unsterblich sind auch jene FKW mit längeren Kohlenstoffketten, die, weil sie unsere Kläranlagen unverdaut wieder ausspucken, sich in unseren Flüssen und Seen wiederfinden. Im Gegensatz zu ihren leichtgewichtigen Vettern, die uns als Treibgase und Kühlmittel dienen und die nach getaner Arbeit schließlich in die Stratosphäre entweichen, wo sie ihre „unerwünschten Nebenwirkungen“ voll zur Entfaltung bringen.
Besonders begehrt sind die längerkettigen perfluorierten Kohlenwasserstoffe ( mit sechs bis 13 Kohlenstoffatomen) dann, wenn sie zusätzlich eine Säureeinheit in der Kopfgruppe tragen. Denn das macht sie zu den widerstandsfähigsten Tensiden, die wir kennen.
Und Tenside lieben nun mal das Wasser – auch wenn es bei ihnen eine reine Kopfsache ist. Dass sie deshalb in unseren Flüssen zu finden sind, weiß man lange schon, doch, was man noch nicht wusste, ist, woher genau sie kommen.
Aus unseren Haushalten. Zum überwiegenden Teil.
Das legt zumindest eine neue Forschungsarbeit nahe, die jetzt ein Land als Testfall auswählte, das den Ruf hat, ein besonders ordentliches und sauberes zu sein: Die Schweiz.
Die Schweiz ist sauber
Die gute Nachricht von dort kann deshalb nicht groß überraschen: Die Gefahr, dass bei diesen perfluorierten Tensiden Grenzwerte überschritten werden, ist von den Flüssen der Schweiz nicht zu erwarten. Noch nicht.
Die schlechte Nachricht aber gleich hinterher: Solche Grenzwerte sind menschengemacht und damit künstlich und weltfremd - wie Umweltgipfel-Politik.
Die aliphatischen Schwänze der perfluorierten Tenside, dieser sogenannten Perfluoralkylsäuren (PFAA), sind nicht nur wasserabweisend, sondern zusätzlich auch Öl abweisend, was an den minimalen van-der-Waals-Kräften dieser "Teflon"schwänze liegt, an denen deshalb alles abperlt – eben auch Öl.
Perfluoriertes, wohin man greift
Das durfte die Industrie, trotz mancher Bedenken, die „in der Natur der Sache lagen“, vor jetzt bald 50 Jahren einfach nicht links liegen lassen.
Polytetrafluorethylen (PTFE, Teflon) kleidet seitdem unser Kochgeschirr aus, macht Oberflächen chemischer Apparaturen widerstandsfähiger, isoliert Kabel und Drähte und macht Dichtungen und O-Ringe dichter. Auch gibt es Folien und Schläuche aus diesem Material.
Zwei Untergruppen der Perfluoralkylsäuren (PFAA), perfluorierte Alkylsulfonate (PFAS) und perfluorierte Carbonsäuren (PFCA) werden zur Imprägnierung von vielfältigen Oberflächen eingesetzt. Die Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) und die Perfluoroctansäure (PFOA) sind ihre wichtigsten Vertreter.
Vom Endverbraucher in die Flüsse
Auf den Oberflächen atmungsaktiver Jacken, auf schmutz- und wasserabweisenden Papieren und in Feuerlöschschäumen sind sie. Genauso auf Teppichen, Lederwaren und auf Möbeloberflächen.
Und treten seitdem vom Endverbraucher aus den Weg in unsere Gewässer an - und aus den Teflonoberflächen, denn diese Tenside dienen im Beschichtungsprozess als Emulgatoren und bleiben teilweise als Verunreinigung in den Teflonschichten zurück.
Der andere Eintrittsweg dieser Chemikalien in die Umwelt ist der direkte über die Prozessemissionen aus Industriestandorten.
Weil selbst in der Leber von Eisbären schon Chemikalien dieser Gruppe entdeckt wurden - was deshalb als besorgniserregend zu werten ist, weil der Verzehr eines arktischen Weltenbummlers mitsamt seiner atmungsaktiven Wäsche als Quelle ausgeschlossen werden konnte - wollten die Schweizer Forscher mit ihrer Arbeit herausfinden, wie genau sich diese PFAAs verbreiten und welcher Eintragsweg sich als Hauptquelle erweisen würde.
44 Messstellen bis hinauf in die Alpen
Vielleicht waren sie auch zusätzlich von den besorgten Äußerungen des Präsidenten des Bundesumweltamtes angestachelt, der kürzlich erst vom Nachweis dieser toxischen Chemikalien in menschlicher Muttermilch zu berichten hatte.
Claudia Müller und Andreas Gerecke vom Empa, einer Forschungs- und Dienstleistungsinstitution für Materialwissenschaften und Technologieentwicklung der ETH Zürich legten deshalb die 44 Probeentnahmestellen so fest, dass Flüsse und Seen mit Einzugsgebieten unterschiedlicher Größe und unterschiedlicher Bevölkerungsdichte genauso erfasst wurden, wie auch verschiedene Hotspots - das sind Messstellen bei Industriestandorten -, an denen perfluorierte Alkylsäuren (PFAA) in der Produktion eingesetzt werden oder wurden.
Bei Galvanisierungsanlagen, zum Beispiel, in denen Metalloberflächen verchromt werden. Bei diesem elektrochemischen Prozess entstanden früher gesundheitsgefährdende Sprühnebel über den Tauchbecken, die mit kostspieligen Absauganlagen aus dem Arbeitsbereich entfernt werden mussten. Erst als man Perfluoroctansulfonsäure (PFOS) der Elektrolytlösung zusetzte, verhinderte die Schaumbildung dieser selbst durch die aggressive Chromsäure nicht zerstörbaren Chemikalie die gefährlichen Sprühnebel.
Dass die Empa-Forscher an diesen Hotspots eine besorgniserregende Konzentration dieser Schaumbildner im Abwasser jetzt nicht mehr feststellen konnten, liegt wohl daran, dass im Juli 2009 diese Chemikalie in die Liste der Stockholmer Konvention für langlebige organische Umweltschadstoffe (POP; persistent organic pollutants ) aufgenommen wurde und dass einige Jahre vorher schon die Industrie freiwillig auf ihren Gebrauch weitgehend verzichtet hatte.
Außen vor bleibt allerdings bisher die wohl nicht weniger schädliche perfluorierte Octansäure (PFOA).
Kein generelles Aus für PFAA
Statt überhaupt auf diese ganze Substanzgruppe zu verzichten, wurde und wird der bewährte Weg, den Belzebub mit dem Teufel austreiben zu wollen, hier genauso konsequent beschritten wie im Bereich der Treibgase und Kühlmittel auch. Die Probleme mit den Austauschstoffen sind deshalb hier wie dort vorprogrammiert.
Die Forscher der Empa ermittelten ihre Messergebnisse mithilfe der Gaschromatographie und einer anschließenden Tandem-Massenspektrometie. Die Wasserproben mussten dafür vorher in einer Festphasenextraktion an einem schwachen Anionenaustauscher-Harz (WAX) aufkonzentriert werden.
Das Fazit der Testreihen: Die PFAAs sind überall in der Schweiz nachweisbar. Während an verschiedenen Industriestandorten der Eintrag für eine der 14 untersuchten Chemikalien im Einzelfall durchaus höher ausfallen konnte als an anderen Messstellen, ist die Hauptquelle des Eintrags jedoch eindeutig den Endverbrauchern zuzuordnen, weshalb die Messwerte mit der Anzahl der Menschen in den Einzugsgebieten der Probeentnahmestellen besonders gut korrelierten.
Bis auf maximal 10 ng/l konnte die Konzentration einzelner Perfluorverbindungen klettern. Sie liegen damit weit weg von den Grenzwerten für Süßwasser-Ökosysteme, wie sie in den USA festgelegt wurden: 5,1 mg/l für PFOS und 2,9 mg/l für PFOA.
Insgesamt also eine relative Entwarnung.
Unsere „süße“ Umwelt
Wobei die Frage bleibt, ob die Anwesenheit dieser Chemikalien, die immerhin im Verdacht stehen, krebserregend zu sein, in der Muttermilch und im Blut des Menschen wirklich hingenommen werden muss.
Merkwürdig mutet es auch an, dass sich offensichtlich auch Acesulfam in unseren Flüssen anreichert. Noch merkwürdiger ist es aber, dass es von Forschern längst schon ganz selbstverständlich als "verlässlicher Marker" für das Wirken des Menschen in seiner Umwelt herangezogen wird. In der Empa-Studie wurde die Konzentration dieses künstlichen Süßstoffes von Müller und Gerecke dazu benutzt, die gute Korrelation der PFAA-Werte mit den Bevölkerungszahlen zu untermauern. Den Süßstoff fanden sie in Konzentrationen, die durchschnittlich dem Dreifachen der Konzentration der perfluorierten Tenside in den schweizer Gewässern entspricht. Denn auch diese Chemikalie ist nur schwer abbaubar und wird beim Verzehr unverdaut wieder ausgeschieden.
PFAA auch im Alpensee
Auch an der Messstelle Nr. 44, einem versteckten Alpensee, an den sich nur selten ein Mensch verirrt - nicht einmal Skitouristen, die mit ihrem Skiwachs perfluorierte Bestandteile zurücklassen könnten -, konnte Nora Spiess vom Empa, eine Mitautorin der Studie, eine Probe entnehmen, in der später im Labor perfluorierte Alkylsäuren gefunden wurden.
Das ist vielleicht das eigentlich erschreckende Resultat der gesamten Messreihen: Diese Chemikalien sind bereits überall. Und auch dort, wo sie der Mensch nicht selbst hinverfrachtet hat, landen sie offensichtlich - wie sie in der Arktis landen - als Luftfracht.
Und die Welt perlt an ihnen ab.
Und man glaubt fast das zornige prometheussche Brüllen des Eisbären zu hören, dem, derweil ihm die perfluorierten Tenside die Leber zerhacken, die leichtgewichtigen Vettern dieser Tenside - langsam aber beharrlich - seine Welt wegschmelzen.
Doch hoch oben - von Gipfel zu Gipfel - sind unsere Politiker, die selbst ernannten wahren Bewahrer unserer Umwelt unermüdlich unterwegs – und unbeirrt, obwohl sie für das Kyoto-Protokoll, diesem kleinsten gemeinsamen Nenner umweltpolitischen Handelns, das Ende dieses Jahres auslaufen wird, keinen Nachfolger gefunden haben. Und obwohl Japan und Kanada nicht mehr dabei sein werden.
Wie konnte das passieren?
Der Chemischen Industrie ist nur anzuraten, viel schneller und wesentlich innovationsfröhlicher als bisher eine umwelterhaltende Allianz mit ihren Endverbrauchern einzugehen – notfalls gegen diese weltfernen Gipfelstürmer.
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