Freitag, 12. Februar 2016

Fett-Analytik wie geschmiert

Analytik wie geschmiert

Industriell hergestellte Glyceride finden breite Verwendung in so unterschiedlichen Wirtschaftszweigen wie der Lebensmittel- und die Kosmetikindustrie. Selbst Biodiesel wird so hergestellt. Oft ist dabei die Prozessanalytik schwieriger als die Verfahren selbst, weil es sich dabei meist um Mehrphasen-Systeme handelt, was eine Probenahme sehr fehleranfällig macht. An der Uni Hamburg-Haburg konnte man jetzt dagegen Abhilfe schaffen.

 

 

 

 

 

Mittelmeersonne pur. Den Urlaub hat sie sich verdient. Die Sonnenmilch schützt sie dabei vor unliebsamen Nebenwirkungen, in der Kühlbox unterm Sonnenschirm wartet als Mittagssnack eine Schoko-Erdbeercreme auf sie, und kurz nach Sonnenuntergang wird sie sich zur Königin der Nacht aufbrezeln, verborgen hinter unzähligen Lagen von Gesichtscremes, Hautlotionen und Schminke, wie hinter Leonardos Sfumato-Technik das Lächeln der Mona Lisa.

 

Aus Fett: Biodiesel wie Schminke

Unser Leben läuft heutzutage eben wie geschmiert und vielleicht sogar einigermaßen umweltgerecht, wenn jetzt auch noch Biodiesel unsere Urlauberin zur Disco bringt.

Fett – es kommt drauf an, erstens, was man daraus macht und zweitens, wie man es gewinnbringend mit Wasser versöhnt. Ganze Industriezweige beschäftigen sich genau mit diesem Problem – und leben gut davon. Was es dazu braucht, sind Emulgatoren, Vermittler zwischen hydrophil-lipophob und hydrophob-lipophil.

Hergestellt werden sie oft aus Fett - durch Hydrolyse. Denn Monoglyceride, oft auch Diglyceride, sind solche Emulgatoren, und auch die Fettsäuren, die bei dieser Verseifung frei werden, - und ihre Salze – bringen in ihrer Eigenschaft als Tenside Wasser mit Öl zusammen.

 

Prozessanalytik notwendig

 

Solche Reaktionen sind älter als die Chemische Industrie und wären auch keine große Hexerei, wenn die dabei stattfindenden Umsetzungen so alternativlos wären, wie deutsche Politik der letzten Jahre. So aber sind Fette Triglyceride, deren Hydrolyse ganz unterschiedliche und im Verhältnis zum erwünschten Endprodukt eine ganze Reihe unerwünschter Nebenprodukte liefern kann. Ähnliches gilt für den umgekehrten Prozess der Veresterung. Eine zeitnahe Prozessanalytik muss deshalb das Reaktionsgemisch immer wieder auf seine Zusammensetzung hin überprüfen.

 

Schwierige Analytik in Mehrphasensysteme

 

Analytik der Wahl ist dabei die Gaschromatographie (GC) und die High-Pressure-Liquid-Chromatographie (HPLC). Mit zwei grundsätzlichen Nachteilen: Man muss dem Reaktor ständig Proben entnehmen und diese einem zeitaufwendigen Aufbereitungsverfahren unterziehen. Bei der Fettchemie kommt ein spezielles drittes Problem hinzu: Die Reaktion findet oft in einem Mehrphasen-System statt, das sich aufgrund der Inhomogenität der gezogenen Proben nur bedingt für eine fehlerarme Analytik eignet.

 

Online-Analytik mit FT-IR

 

Genau dies war der Ansatzpunkt einer Forschungsarbeit von Jakob Müller an der Technischen Universität Hamburg-Harburg (TUHH). Zusammen mit der Evonik Goldschmidt GmbH (inzwischen Evonik Industries AG) in Essen, einem Chemie-Unternehmen mit Ausrichtung auf Spezialchemikalien, wie Stabilisatoren und Emulgatoren, wurde am Institut für Technische Biokatalyse (ITB) eine Inline-Analytik auf Basis einer Fourier-Transform-Infrarot-Spektroskopie entwickelt (FT-IR), die simultan die Mono-, Di- und Triglyceride direkt im Reaktor verlässlich detektieren konnte, obwohl in der verwendeten Blasensäule vier nicht mischbare Phasen vorlagen.

Glyceride und Fette bestehen aus dem Dreifachalkohol Glycerin, der mit ein, zwei oder drei oft unterschiedlichen Fettsäuren verestert ist. Neben der rein chemischen Hydrolyse dieser Fettsäure-Ester gelingen besonders gut biokatalytische, weil sie oft ohne zusätzliche Lösungsmittel auskommen und zudem bei niederen Temperaturen ablaufen, was die Entstehung von Nebenprodukten vermindert und anschließende Aufbereitungsschritte weitestgehend unnötig macht.

Gerade Blasensäulenreaktoren erweisen sich dabei als besonders effektiv - mit hoher Raum-Zeit-Ausbeute. Nur die Analytik, die schon wegen der Viskosität solcher Umsetzungen problematisch ist, wird bei diesem Reaktortyp, einem Hybrid-Reaktor mit mehreren nicht mischbaren Phasen, eine ganz besondere Herausforderung.

 

MIR statt NIR

 

Schon Arbeiten anderer Forscher mit Online-Nahinfrarot(NIR)-Messungen konnten beweisen, dass ein spektroskopisches Verfahren zielführend sein könnte. Die Hamburger Wissenschaftler um den Institutsleiter Prof. Dr. Andreas Liese gingen aber noch einen Schritt weiter und nutzten für ihre Messungen den mittleren Infrarot-Bereich (MIR), mit dem die Grundschwingungen von Molekülen angeregt werden, während im NIR die Oberschwingungen angesiedelt sind. Eine um fast zwei Größenordnungen höhere Empfindlichkeit weist die MIR-Spektroskopie im Vergleich zu NIR-Messungen auf. Der Nachteil: Mit Standard-Messvorrichtungen ist dies nicht zu realisieren.

 

Lichtwellen tunneln in verbotene Bereiche

 

Eine speziell ummantelte Silberhalogenid-Faser musste deshalb her, die das Infrarot-Licht in Totalreflexion zu einem Diamantprisma führt, an dessen innerer Oberfläche die Welle ebenfalls totalreflektiert wird. Warum trotzdem außerhalb dieser Prisma-Grenzfläche - auf wenigen Nanometern zwar nur - eine sogenannte evaneszente Welle entsteht, ist ein wellenmechanisches Phänomen, vergleichbar dem Tunneleffekt in elektronischen Schaltungen. ATR-IR-Spektroskopie heißt dieses Verfahren (ATR, attenuated total reflection; abgeschwächte Totalreflexion). Genau diese exponential abfallende Welle „auf Abwegen“ ist es nämlich, die mit den Molekülen in der unmittelbaren Umgebung der Diamantoberfläche wechselwirkt (die Stecke entspricht 1/4 bis 1/10 der Wellenlänge der IR-Strahlung, also maximal 100 nm) und schwächt dabei das im Wellenleiter geführte Licht, was in einem Quecksilber-Cadmium-Tellurid-(MCT)-Detektor frequenzabhängig registriert wird.

 

DFT – Dolmetscher zwischen Welt und PC

 

Den nächsten Schritt übernimmt die Diskrete Fourier-Transformation (DFT), dieses fleißige Arbeitspferd, das jenes Feld beackert, auf dem die analogen Signale der Außenwelt in die digitalen Signale der Computerwelt umgewandelt werden – und dies in Echtzeit. Im vorliegenden Fall transferiert sie die 96 Scans pro Spektrum in die Schaltkreise des Prozessors und gleichzeitig von der Zeitdomäne in die Frequenzdomäne, sorgt dabei für ein wesentlich günstigeres Signal-Rauschverhältnis als eine herkömmliche IR-Spektroskopie und liefert darüber hinaus in einer viel kürzeren Zeit als diese ein komplettes Spektrum.

Nach diesen Fourier-Algorrythmen kamen am ITB weitere mathematische Näherungsverfahren zur Anwendung, die schließlich aus den Spektren die Konzentrationen der Mono-, Di- und Triglyceride im Blasenreaktor berechnen konnten.

Als Referenz dienten dabei die Messwerte, die mit einer herkömmlichen GC erhalten wurden.

 

Laurinsäure für den Modellfall

 

Um die Reaktionsmuster der Veresterung und damit die mathematischen Näherungsverfahren zunächst so einfach wie möglich zu halten, begnügten Liese und Müller sich zum einen mit nur einer einzigen Fettsäureart, der Laurinsäure, im Ansatz, zum anderen wählten sie als Katalysator die Lipase B der Candida antarctica, die selektiv nur drei Produkte der sieben möglichen der Veresterung synthetisiert.

Was bei der ATR-IR-Spektroskopie zunächst wie ein Nachteil daherkommt, ist in Wirklichkeit die Stärke des Verfahrens, denn nur die Moleküle in unmittelbarer Nähe der Diamantoberfläche wechselwirken mit der "Tunnelwelle". Genaugenommen sogar nur jene, die aufgrund gleicher Polarität auf der Oberfläche haften wie ein Film. Das aber sind genau jene unpolaren Substanzen, die gemessen werden sollen: Laurinsäure und die drei verschiedenen Lauringlyceride.

Das polare Glycerin erscheint genauso wenig auf dieser Oberfläche – und somit auch später nicht im Spektrum - wie die Luftblasen und die Biokatalysatoren, die an eine feste Trägersubstanz gekoppelt sind (Novozym 435).

Das ist es, was diese ATR-IR-Spektroskopie der herkömmlichen GC oder HPLC überlegen macht.

"In nächsten Schritten muss die Inline-Analytik auf regioselektive Biotransformationen mit unterschiedlich substituierten Polyolen ausgeweitet werden. Dann steht einem Einsatz der Online-FTIR-Detektion zur Bestimmung der Regioselektivität in der industriellen Biokatalyse nichts mehr im Wege", ist sich Liese sicher.

 

 

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